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Wie aus Uneinsichtigkeit Zensur geschaffen wurde

Fassen wir nochmal zusammen:

Am 15.12.2008 las ich zum erstenmal von dem Gedanken, Kinderpornographie einfach aus dem Internet „wegzufiltern“. Damals wollte man noch Software, die die Bilder (und Filme?) erkennnt, auf seinem Rechner installieren, andernfalls sollten die Provider keinen Zugang gewähren. Dass das technisch Quatsch war, war überall zu lesen, und auch die Provider werden es dem Herrn Innenminister Schünemann Erzählt haben.

Der Vorschlag blieb ein wenig rumliegen, kam dann aber technisch vereinfacht von höherer Politischer Ebene wieder zurück: nicht der Computer sondern das Bundeskriminalamt sollte die Kinderpornos erkennen und auf eine Liste schreiben. Die Liste müsse natürlich geheim sein, sie solle ja kein Einkaufszettel werden, und die Sperrtechnik solle schon auf Providerseite laufen (hätte auch zu blöd ausgesehen, diese hübschen iPhones zu verbieten). Ein Stoppschild wolle man anzeigen, damit klar würde, dass es hier nicht weitergehe. Ähnliches gebe es schließlich schon in einigen anderen Ländern, und dort funktioniere es prima. Die Bundesfamilienministerin Frau von der Leyen nahm sich der Sache an, Kinderpornos sind schließlich eine schlimme Sache.

STOPP!

Argumente, dass der Netzverkehr nicht nur aus http besteht verhallten ungehört, in P2P-Netzen und im Usenet kann man wohl keine plakativen Stoppschilder anzeigen.

Argumente, dass solche Sperren meist leicht zu umgehen sind, wurden lediglich zur Kenntnis genommen; eine Sperre für DAUs reicht wohl völlig (und wer weiß? Die technische Implementation soll ja nicht vorgeschrieben werden, einige Provider kennen sich möglicherweise doch mit Netzwerktechnik aus…).

Bis hierhin klang das alles noch nach dem üblichen Politikergestümpere der letzten Jahre. Jetzt tauchten aber die Sperrlisten der oben erwähnten anderen Länder (in denen das System so gut funktioniert) schon vor einiger Zeit im Netz auf, und mit denen gibt es einige Probleme.

a) Die meisten Links führen überhauptnicht zu Kinderpornographie. Für diesen Einwand gibt es eine zweistufige Lösung: 1. diese Listen darf keiner ansehen, es sind ja schließlich Links zu Kinderpornographie drauf. Überprüft werden dürfen sie deshalb auch nicht. Lösung 2: Wer sich zuviel damit beschäftigt, der wird einfach mit in die Reihe gestellt.

b) Die Links, die doch zu Kinderpornographie führen, deren Zielserver befinden sich zu einem ansehnlichen Anteil eigentlich durchaus innerhalb des Einflussbereichs der üblichen Europäischen Gesetzgebung, man könnte die also tatsächlich abschalten lassen (statt sie nur zu verstecken). Gegen diesen Einwand wird auf mehreren Ebenen vorgegangen: große Statistikgeschütze wurden aufgefahren; eine ganze Industrie stehe dahinter, die Rede ist von 400000 täglichen Klicks und Millionenumsätzen (Experten wunderten sich), da könne man unmöglich hinterherkommen. Diese Industrie gelte es auszutrocknen, indem man die „Kundschaft“ aussperre. Leute, die um diese Sperren herumzukommen wissen, die sind sowieso wahrscheinlich selbst so kriminelle

Es ist ja nicht so, dass es aus den Reihen der Netzexperten keine Hilfsbereitschaft geben würde, aber jetzt stehen wir trotzdem vor dem Ergebnis einer Augen-zu-und-durch-Politik: erst ein Vertrag, dann ein Gesetzesentwurf, der die Umleitung von URLs, die auf einer geheimen Liste stehen, auf ein Stoppseite vorsieht. Ganz kurz vor der Gesetzwerdung wurde übrigens die Kinderpornographieanforderung aus den eigentlichen Paragraphen in die Einleitung des Gesetzes verbannt (dem Inhaber der zu Unrecht gesperrten Seite steht zwar der Rechtsweg offen, der Provider muss aber trotzdem erstmal sperren).

Was haben wir jetzt also? Ein universell einsetzbares Zensurwerkzeug: theoretisch könnte das BKA in Zukunft jede beliebige Seite „aus Versehen“ und bis zum Beweis des Gegenteils vorübergehend aus dem Netz verschwinden lassen (ich will jetzt der aktuellen Regierung nicht unterstellen, dass sie derartiges vorhabe. Trotzdem darf man so ein Machtinstrument niemandem in die Hand geben). Dass damit Kinderleid verhindert wird bezweifeln sogar Missbrauchsopfer.

Und damit nicht genug: darüber, ob derjenige, dessen Surfweg an einem der Stoppschilder endet, automatisch mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen muss wechseln die Lehrmeinungen im Moment täglich.

(Ach ja, und wo man gerade dabei ist: da gibt es durchaus noch weitere Interessenten für einen Ausbau solcher Netzsperren…)

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Realismus den Politikern, jetzt!

Das Internet muss derart voll von Kinderpornographie sein, dass sich jeder Politiker unbedingt darum kümmern will. Bei diesem Artikel auf heise.de dachte ich noch bei der Überschrift zuerst: „gute Idee, den Fortschritt der Bilderkennung sollte man tatsächlich mal vorantreiben“, aber nein — schon der erste Absatz stellt klar: Herr Schünemann wünscht sich, dass

[…] Internet-Provider künftig ihre Kunden vertraglich dazu verpflichten, eine Filter-Software zu installieren, die den Zugang zu kinderpornografischen Inhalten blockiert.

In dieser Form ist der Vorschlag aus einer ganzen Reihe von Gründen unsinnig:

  • Aktuelle Bilderkennungssoftware ist weit davon entfernt, Kinderpornographie erkennen zu können. Sie findet inzwischen recht zuverlässig Personen, hat aber noch große Schwierigkeiten, Alter, Bekleidungsgrad und erst recht Tätigkeit dieser Personen zu erkennen (vor ein paar Jahren habe ich schonmal mit einer „sensationellen“ Pornoerkennungssoftware experimentiert, die dann aber doch nur den Fleischfarbanteil des Bilds beurteilte und ein Bild meiner Hand kurzerhand zum Porno erklärte).
  • Das Internet besteht nicht nur aus HTTP. Viele Schmuddelbilder kommen z.B. aus dem Usenet, von wo sie in Form mehrerer Textnachrichten auf den Rechner gelangen und erst dort zusammengesetzt werden — von Proxies und verschlüsselten Verbindungen (oder verschlüsselten Dateien) fange ich besser garnicht erst an.
  • Eine solche vorgeschriebene Filtersoftware müsste für alle denkbaren Systeme existieren (wer jetzt „eh alles Windows“ sagt, der verbietet mal eben im Vorübergehen das Surfen mit iPhone, Wii,… — siehe auch hier).
  • Wie die Benutzung der Software überprüft werden soll ist ebenso unklar. Ein Zugriff auf die Kundenrechner kommt eher nicht in Betracht (die üblichen NAT-Router und Personal Firewalls würden das sowieso verhindern), einen zusätzlichen HTTP-Header könnte jedes andere Programm (z.B. squid) genausogut einfügen. Jemand noch eine andere Idee?

Dass Netzsperren außerdem insgesamt das falsche Mittel sind, dazu kann man eine sehr ausführliche und fundierte Meinung bei Netzpolitik lesen. Forschung zu einer tatsächlichen Erkennung von Kinderpornos ist aber trotzdem eine gute Idee: wenn man diese Bilder erstmal automatisch identifizieren kann, dann lassen sich die „Angebote“ im Netz schneller finden (lies: klassifizieren), und die Strafverfolger können sich auf die Suche nach den Urherbern konzentrieren.

Wer bringt unseren Politikern mal bei, die technische Machbarkeit vor dem Vorschlagen einer  neuen Vorschrift zu überprüfen (oder überprüfen zu lassen)?