Kategorien
Blog

Der unvermeidliche Schniedelartikel

Ok, jetzt haben wirklich fast alle einen Artikel zum  Thema Beschneidung geschrieben, aber ich muss doch auch noch — und zwar weniger, weil ich etwas entscheidendes zur  Diskussion beizutragen hätte, sondern viel eher weil mir einige Dinge an der Art nicht gefallen, in der sie geführt wird.

@ruhepuls: so viel penis gab's noch in keinem sommerloch

Zur Sache selbst

Zuerst mal geht es eben nicht um ein neues Gesetz mit einem Beschneidungsverbot, das jetzt plötzlich von irgendjemandem erlassen wurde. In einem Prozess um einen ziemlich speziellen Fall einer Beschneidung mit Komplikationen (den ich woanders nachzulesen bitte) hat ein Gericht entschieden, dass die Beschneidung eines kleinen Jungen als Körperverletzung zu werten war. Das ist wenig überraschend, schließlich ist fast jeder ärztliche Eingriff und selbst das Stechen von Ohrlöchern für Ohrringe eine Körperverletzung, die nur deshalb nicht bestraft wird, weil der zu verletzende selbst (oder ein Vertreter in seinem Namen) eingewilligt hat. Das Gericht hielt die Eltern nicht für berechtigt, in eine Beschneidung ohne medizinische Indikation im Namen ihres kleinen Kinds einzuwilligen. Der Aufschrei in den konservativen Lagern aller abrahamitischen Religionen war groß (wenn auch nicht einhellig), und es wurde mit der Planung einer anderslautenden gesetzlichen Regelung begonnen.

„Wo wart ihr denn bisher?“

Deshalb kann man meiner Meinung nach auch den „Beschneidungsgegnern“, die wiederum dagegen protestieren, nicht vorwerfen, das Thema jetzt plötzlich auf die Tagesordnung gebracht zu haben. Darüber hatte ich mich sehr interessant auf Twitter mit Kiki unterhalten (leider haben ihre Tweets immer so eine Tendenz zu verschwinden, so dass dieses Gespräch jetzt nicht mehr nachzuvollziehen ist).

Wichtige Erkenntnis dieser Diskussion für mich war: es müssen hier zwei verfassungsmäßig geschützte Grundrechte (nämlich das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kinds und das Recht auf freie Religionsausübung der Eltern) gegeneinander Abgewogen werden. Das ist durchaus im Ermessensspielraum des Gesetzgebers und trotzdem eine schwierige juristische Abwägung, die ich selbst nicht treffen müssen will.

„Die Mehrheit sieht das anders.“

Das Ergebnis einer solchen Überlegung muss auch nicht unbedingt, wie jetzt vielfach zu lesen war (z.B. hier bei Antje Schrupp), der Mehrheitsempfindung der Bevölkerung entsprechen. Die folgenden Rechtsnormen waren zum Zeitpunkt ihrer Einführung auch nicht von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, und ich befürchte, dass sie es möglicherweise auch heute noch nicht sind (Achtung, bewusst maximal eskalierende Aufzählung):

  • Verbot der körperlichen Züchtigung in der Erziehung
  • Anerkennung der Existenz von Vergewaltigung in der Ehe (im Gegensatz zu „Erfüllung der ehelichen Pflicht“)
  • Die Abschaffung der Todesstrafe

Ein hypothetisches Gesetz, das speziell die Beschneidung von Jungen speziell aus religiösen Gründen erlaubt, sehe ich jedenfalls mit einem gewissen Unwohlsein.

„Die Jungs sollen sich nicht so anstellen bei dem kleinen Schnitt.“

Das habe ich in den letzten Tagen häufiger gelesen, und ich habe mich sehr gewundert, dass es von genau den Leuten geschrieben wurde, die sonst gern entlang der Linie „Du als Mann ( / als Heterosexueller / als Weißer / als Arbeitnehmer) kannst dazu gar keine maßgebliche Meinung haben, weil Dir die Möglichkeit fehlt, diese Erfahrung zu machen.“ argumentieren  — wo ich mir dann inzwischen denke: „Stimmt.“, und lieber erstmal die Bewertung der Betroffenen zu akzeptieren versuche, auch wenn sie nicht mit meiner eigenen übereinstimmt.

Ich selbst bin beschnitten, aus medizinischen Gründen (Vorhautverengung) und schon in sehr jungem Alter. Ich habe dadurch keine Beschwerden, kann aber natürlich auch keinen Vergleich zu einem „vollständigen“ Penis anstellen. Wenn man über den liest, dann steht dort aber, dass der unbeschnittene Penis drei unterschiedliche erogene Zonen hat (Eichel, Vorhaut und Frenulum). Da bei der Beschneidung zwei davon weggeschnitten werden, kann wohl zumindest nicht von einem „kleinen Schnitt“ die Rede sein. „Verstümmelung“ hingegen ist wohl auch übertrieben (andererseits: im Ferngespräche-Podcast erzählte vor zwei Monaten eine transsexuelle Frau, dass das Material der Vorhaut bei einer späteren geschlechtsangleichenden Operation schlicht fehlen kann).

Kein Fazit.

Von dentaku

Site Reliability Engineer, Internet-Ureinwohner, Infrastrukturbetreiber, halb 23-Nerd halb 42-Nerd, links, gesichtsblind.

Schreibt mit "obwaltendem selbstironischem Blick auf alles Expertentum" (Süddeutsche Zeitung)

2 Antworten auf „Der unvermeidliche Schniedelartikel“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert