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Zur Wahl

In weniger als zwei Wochen sind Bundestagswahlen, nach unserem Wahlsystem sind das bekanntlich zwei Wahleintscheidungen.

Erststimme

Hier ist einer der Kandidaten aus meinem Wahlkreis (Nummer 258, Stuttgart I) zur Vertretung meiner Interessen in den Bundestag zu schicken. Im Gegensatz zur Zweitstimme ist die Erststimme wirklich verschenkt, wenn sie an einen komplett aussichtslosen Kandidaten geht.

Kandidaten mit realistischen Wahlchancen:

  • Stefan Kaufmann (CDU)
    Er vertritt den Wahlkreis bisher im Bundestag und tritt folglich mit der  immerhin originär konservativen Wahlaussage „weiter für Stuttgart“ an. Sonst ist er mir bisher nicht groß aufgefallen. Sein Wikipedia-Eintrag lässt aber vermuten, dass wir auch bisher seinetwegen wenigstens nicht mit ununterbrochen vor die Stirn geschlagener Hand herumlaufen müssen.
  • Cem Özdemir (GRÜNE)
    Den kennt man natürlich aus der Bundespolitik, schließlich gehört er seit Jahren zur erweiterten Parteiführung.
  • Ute Vogt (SPD)
    Eine nicht ganz unbekannte SPD-Politikerin, die unter Otto Schily sogar schon einmal Staatssekretärin im Innenministerium war.

Kandidaten ohne realistische Wahlchance:

  • Judith Skudelny (FDP)
  • Christina Frank (DIE LINKE)
  • Christian Thomae (PIRATEN)
  • Ronnie Hellriegel (NPD)
  • Dieter Baur (ÖDP)
  • Hubertus Mohs (BüSo)
  • Ronald Geiger (AfD)
  • Gerhard Hammitzsch (FREIE WÄHLER)
  • Hans-Jürgen Gäbel
  • Frank Schweizer
  • Werner Ressdorf

Es gibt also einen sinnvollen Kandidaten des mitte-konservativen Lagers (früher: rechts) und zwei des mitte-progressiven Lagers (früher: links), von denen Ute Vogt sagt, man möge doch Cem Özdemir wählen. Also wird wohl Cem Özdemir meine Stimme bekommen, auch wenn ich laut wen-wählen mit seinen Ansichten nicht so ideal übereinstimme.

Zweitstimme

Die Zweitstimme ist die Kanzler… äähm, nein, begründet die eigentlichen Mehrheitsverhältnisse im Bundestag. Hier gibt es allein deshalb schon keinen guten Grund, seine Wahl von taktischen Überlegungen leiten zu lassen, weil wenn das alle machen würden, die kleinen Parteien niemals über die 5%-Hürde kommen würden.

War das jetzt verständlich? Nein? Ich versuch’s nochmal: für neue Parteien ist es schwer, die 5%-Hürde zu überspringen. Viele Leute wählen diese Parteien deshalb nicht, weil sie befürchten, dass dadurch ihre Stimme verloren ist. Das stimmt natürlich, solange die Partei tatsächlich unter 5% bleibt. Das wiederum tut sie eventuell aber nur wegen genau dieser Zurückhaltung. Der Selbstverstärkungseffekt ist leicht zu erkennen.

Ok, und welche Partei vertritt jetzt meine Interessen? Meine grundsätzliche politische Einstellung ist linksliberal-pazifistisch, und ich lege großen Wert auf netzpolitische Themen (gerade da hat sich ja bisher keine der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien mit Ruhm bekleckert). Dementsprechend fallen auch die Ergebnisse der verschiedenen Wahl-o-Maten aus (siehe auch vorher schon bei der Süddeutschen Zeitung).

wahl-o-mat wen wählen?

Die Piraten also, nicht so überraschend.

Ja, ich weiß, dass das ein großer Haufen Chaoten ist, aber es sind eben unsere Chaoten. Man soll ja nicht Netzgemeinde sagen, aber von genau dort kommen die Piraten. Und auch wenn sie bisher nichts ausrichten können (wie auch?), so haben gerade die Geschehnisse seit den PRISM-Enthüllungen gezeigt, wie dringend sie gebraucht werden.

Und im Berliner Abgeordnetenhaus stellen sie — so weit man das von hier beurteilen kann — genau die Art unbequemer Fragen, die ich auch im Bundestag gern gestellt sehen möchte (ja, ich weiß, Piraten sind noch in weiteren Landesparlamenten, aber die habe ich nicht gut genug beobachtet).

Lest zum gleichen Thema den Text von Felix Schwenzel, der auch darlegt, inwiefern die anderen Parteien genau so große Chaoten sind.

TL;DR: Erststimme: Cem Özdemir, Zweitstimme: Piraten, Grund: alle anderen noch doofer.

Von dentaku

Site Reliability Engineer, Internet-Ureinwohner, Infrastrukturbetreiber, halb 23-Nerd halb 42-Nerd, links, gesichtsblind.

Schreibt mit "obwaltendem selbstironischem Blick auf alles Expertentum" (Süddeutsche Zeitung)

8 Antworten auf „Zur Wahl“

Peter sagt:

Mit beiden Stimmen wirst Du dafür sorgen, dass Angela Merkel Verlängerung bekommen. Das ist Dir klar, oder?

dentaku sagt:

@Peter: Ich meine aber dargelegt zu haben, warum ich „taktisches Wählen“ bei der Zweitstimme ablehne. Was müsste ich denn Deiner Meinung nach wählen?

Ute sagt:

Bei zwei Punkten stimme ich nicht zu.
Zwei Wochen vor der Wahl jetzt das taktische Empfehlen von Grün-Rot finde ich daneben. Dass es in BaWü immer drum geht der CDU ein Direktmandat abzunehmen war ja nun von Anfang an bekannt. Hätten sie von vorne herein aufgeteilt und jeweils auf die eigenen Direktkandidaten in einem der beiden Wahlkreise verzichtet, hätte ich es gut gefunden – Zusammenarbeiten. Jetzt noch mal eben was drehen wollen, gefällt mir gar nicht.

Und:
Es gibt keine verlorenen Stimmen, wenn man langfristig überlegt. Ab 0,5% der Stimmen gibt es Parteienfinanzierung, mehr Geld bedeutet mehr Sichtbarkeit und damit bei späteren Wahlen bessere Chancen. Wer hinter den Zielen einer Partei steht, sollte die also wählen sofern sie die Chance haben über 0,5% zu kommen.

Dass ich nichts gegen Piratenstimmen habe ist ja bekannt. 😉

dentaku sagt:

@Ute: Zu Punkt 1:
Zwei Wochen vor der Wahl ist wirklich etwas knapp, das hätten sie deutlich eleganter und deutlicher machen können. Dem Ziel „der CDU ein Direktmandat abzunehmen“ stimme ich aber grundsätzlich zu und werde es daher nicht sabotieren.
Zu Punkt 2:

Es gibt keine verlorenen Stimmen, wenn man langfristig überlegt.

Ja, genau das habe ich da oben zu formulieren versucht. Vielleicht habe ich da etwas zu sehr geschwurbelt: ich lehne taktisches Wählen mit der Zweitstimme grundsätzlich ab, weil die Mehrheitsverhältnisse sonst gar nicht die Wählermeinung wiederspiegeln. Auch die Parteifinanzierung ist da für mich nicht ausschlaggebend.

Alex sagt:

Guter Blogbeitrag, und nebenbei eine Anmerkung, neben den Berliner Piraten gibt es bundesweit auch mehr Aktionen für die es zu werben lohnt, nicht nur piraten-wirken.de, sondern auch openantrag.de (gab mehrere heise.de-Berichte darüber)

Irene sagt:

Die Stimme für Kleinparteien ist auch deshalb nicht verloren, weil sie ebenso wie die Stimme für erfolgreichere Parteien verhindern kann, dass andere Kleinparteien an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern.

Konkret: Wer am Sonntag bei der Landtagswahl war und irgendwas anderes als FDP angekreuzt hat, hat dazu beigetragen, dass die FDP in Bayern wieder draußen ist.

dentaku sagt:

@Irene: Das widerspricht sich aber: wenn die Stimmen für andere Kleinparteien dazu führen, dass die FDP nicht ins Parlament kommt, dann machen sie die Hürde gleichzeitig auch höher für (zum Beispiel) die ödp — außer natürlich die Stimmen für die ödp.

[…] Das war noch bevor die Partei die nächste Stufe der Selbstzerfleischung gestartet hat (Stichwort Bombergate), und danach hätte ich es mir eventuell anders überlegt. Andererseits sind eben immernoch unsere Chaoten. […]

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