Dieser Artikel hat als Versuch der Beantwortung einer Formspring-Frage begonnen, wurde dann aber viel zu lang und auch immer wieder von den Ereignissen überholt.
Ich bin Techniker und dem Fortschritt gegenüber durchaus positiv eingestellt, und als ich mir im Juli 2006 im Turm des Stuttgarter Hauptbahnhofs die Vorstellung des Projekts Stuttgart 21 ansah (bei dem Besuch entstand auch dieses Bild), war ich von der Grundidee begeistert. Ich wusste damals schon, dass dieselbe Überlegung in München bereits verworfen worden war, weil man dort die Fernbahn hätte ins vierte bis fünfte Untergeschoss verlegen müssen, und das als nicht bezahlbar galt. Dieses Problem wurde in Stuttgart geschickt umgangen, indem die Richtung der Gleise um 90° gedreht werden soll (das erleichtert natürlich auch den Bau, denn man kann ja die alten Gleise länger liegen lassen). Später sollen die freiwerdenden Flächen zu wertvollem Bauland werden. Durch ihren Verkauf sollte das Projekt finanziert werden. Klingt doch alles toll, oder?
Kurze Zeit später traf ich auf die ersten Stuttgart-21-Gegner. Leute, die dagegen sind, findet man ja bei jedem Großprojekt –- im Zweifelsfall gibt es immer eine gefährdete Tierart, deren Lebensraum zufällig gerade umgegraben werden soll. Ich tat die erstmal als Spinner ab.
Die Spinner waren aber überaus gut informiert, und sie hatten viele Argumente. Die will ich jetzt gar nicht alle durchhecheln, und ich finde viele davon auch einzeln egal oder uninteressant (die Sache mit den Tunneln hat man hier in Stuttgart zum Beispiel ganz gut im Griff, und Geldargumente kann ich spätestens nach der noch teureren Spontaneinkaufstour bei EnBW nicht mehr gelten lassen). Die Summe der Probleme gibt aber zu denken.
Schwerer wiegt jedoch der Umgang der Projektdurchführenden mit den Projektgegnern. Die Ereignisse des 30. September 2010 sind genug überall durchgesprochen worden, waren aber nur Symptom einer Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Politik, die die Landesregierung von Baden-Württemberg letztendlich ihr Amt gekostet hat. Man berief sich stets auf das rechtsstaatliche Zustandekommen der Bauabsichten, und dass alle vorgeschriebenen Beteiligungsmöglichkeiten bereits zur Verfügung gestanden hätten und nicht genutzt worden wären. Mit der Zeit stellte sich aber heraus, dass auch das so nicht ganz richtig war.
Die Verfahrene Situation führte zu einigen interessanten neuen Ansätzen, z.B. zu einer Schlichtung, von der ich mir einiges angesehen habe, und in der jede Menge kleine und große Unzulänglichkeiten aufgedeckt wurden (aber ich habe noch kein anderes Großprojekt in so detaillierter Betrachtung gesehen und kann daher nicht beurteilen, wie Stuttgart 21 sich im Vergleich hält). Insgesamt muss man die Politisierung der Bevölkerung, egal in welche Richtung und mit welchem Ergebnis, wahrscheinlich positiv bewerten.
Im Moment stellt die Situation sich mir so dar, dass für viel Geld ein zwar moderner aber in vielen Punkten mangelhafter Bahnhof gebaut werden soll, der möglicherweise nicht einmal die Kapazität des aktuellen Bahnhofs erreicht (obwohl der lange nicht mehr modernisiert wurde). Unsere aktuelle Regierung aus der einzigen Partei, die schon lange dagegen war und der in der Sache unentschlossensten Partei kann den Bau aber auch nicht einfach einstampfen. Das Land kann nur seinen Finanzierungsanteil zurückziehen und hoffen, dass die anderen Beteiligten dann hinschmeißen. Morgen ist Volksabstimmung über diesen Trick, aber es ist eigentlich schon abzusehen, dass keins der möglichen Ergebnisse die Lage wirklich beruhigen wird.
2 Antworten auf „Die Sache mit dem Bahnhof“
[…] Noch so ein verwirrter/verwirrender und unnötiger Artikel zu #S21 shxz.de/s21 # Microblog […]
[…] @johl (vor zwei Jahren, kurz vor der Volksabstimmung, habe ich mal das hier geschrieben: dentaku.wazong.de/2011/11/26/d…m-bahnhof/ ) # Microblog […]